In Memoriam Ursula Läubli

Levensloop van mijn zuster Ursula, gelezen tijdens haar begrafenis, 27 april 2011  (Duits -> English version)

 

 

Liebe Mittrauernden,

 

In de kommende Minuten möchte ich einige Stationen im Leben von meiner Schwester, eurer Tochter, Tante und Freundin Ursula Läubli schildern als Lebenslauf in 5 Bildern.

Am Anfang das erste Bild:

 

Ein etwas trüber Oktobermorgen im Jahre 1964. Wolkenfetzen hangen über dem Glarnerland und schmiegen sich in Wattebäuschen den Flanken der Berge an, wie Schlagrahmtupfer auf einer Torte, die vor dem Festmahl noch im Kühlschrank ruht. Ein kleiner Bub von drei Jahren hält die Hand seines grossen Vaters fest und winkt dem weissen Ford Taunus nach, der sich langsam vor dem Haus an der Mürtschenstrasse in Bewegung setzt. Der Knabe winkt unsicher und zögerlich, denn da geht seine Mutter, im Fond des Fords. Sie winkt zurück, lächelnd, liebevoll, aber auch mit einer Sorgenfalte auf der Stirn. Ewig scheint es dem Jungen zu dauern bis der Wagen die Kurve am Ende der Strasse erreicht; die Mutter winkt noch immer, und in ihren Augen ist die Vorfreude zu sehen und auch die Angst und der Schmerz. Der Knabe trippelt von einem Fuss auf den andern; er weiss: heute wird sich alles verändern, heute ist ein Scheidepunkt in seinem Leben, nichts wird mehr so sein wie es ist, und in seinem kindlichen Absolutismus geht ihm die Welt unter. Und doch brennt auch in seinem Bauch ein Gefühl der Aufregung, der Antizipation, denn heute, heute sollte alles anders werden, ab heute sollten sie zu zweit sein, in jener Kleinfamilie im Glarner Dorf Niederurnen, heute sollte er eine Schwester bekommen. Und der kleine Junge winkt und winkt und trappelt und trappelt, und die kleine Händchen werden feucht, und dann verschwindet die Mutter um die Kurve. Das Weiherhaus in der Ferne steht in den Feldern, als sei gar nichts geschehen.

Am Abend hat der Bub ein Schwöschterli. Und der Bub war ich, und das Schwesterlein war Ursula.

 

Ursula Läubli wurde geboren am 13. Oktober 1964 im Kantonsspital Glarus. Eine unkomplizierte Geburt sagte meine Mutter, ein goldiges Baby, mit ab und zu Krämpfen.

Die ersten Lebensjahre verbrachte sie in unserer Familie in Niederurnen am Fusse der Alpen. Nach drei Jahren zogen wir um, nach Zürich an die Seestrasse in Wollishofen.

Kindergarten und die Unterstufe der Primarschule da. Später dann der Umzug nach Winterthur, an die untere Vogelsangstrasse, wo Ursula Oberstufe der Primarschule, drei Jahre Sek und dann die Lehramtsschule besuchte.

Vieles gäbe es zu erzählen aus ihrer Jugend, aber das wichtigste wird, glaub ich, in meinem zweiten Bild illustriert:

 

Im Klassenzimmer in der Lehramtsschule, im grossen alten Bau der Mittelschule im Lee. Ursula hängt mit verschmitztem, aber auch unsicherem Grinsen in ihrer Bank, ihre Klassenkameraden stehen am Fenster und schauen hinaus, hinunter auf den Sportplatz, der weiss vom frisch gefallenem Schnee glänzt. Hie und da ein scheuer Blick zu meiner Schwester, die in ihren weitausladenden Hippiekleidern so absticht gegenüber den meisten ihrer bravbürgerlichen Mitschülerinnen. Ein Blick der Anerkennung hier, einer voll Abschätzigkeit da, der Überraschung, der Bewunderung und des Unverständnis. Woher holt sie sich den Mut, woher holt sie sich die Frechheit, woher holt sie sich das Selbstvertrauen, um das zu tun, was sie getan hat? Man kennt sie wohl manchmal als aufmüpfig, aber ebenso oft als traurig, zurückgezogen, unsicher. Ursula ist anders, da ist man sich einig, Ursula ist besonders, selektiv in ihrer Freundschaft, absolut in ihrer Treue. Woher holt sie sich jetzt den Mut, um das was fast alle denken, so einfach ins Öffentliche zu bringen – unerschüttert von der Angst vor den Folgen?

Unten auf dem Schneefeld steht, in seuferlichen Fussstapfen in das Weiss gestampft, das Gefühl das jedem Schüler ach so bekannt ist, eingetreten in den frischen Schnee und lesbar für das ganze Gebäude: Scheiss Schule.

 

Diese Bild, liebe Menschen, zeigt mir, dass Ursula schon früh in ihrem Leben, ihren eigenen Weg gehen wollte, ihren eigenen Weg ging und sich nicht scheute ihre Meinung, ihre An- und Einsichten der Welt zu präsentieren. Sie, die auf der einen Seite so verletzbar, so sensibel war, hatte auf der anderen Seite eine innere Stärke, die es ihr ermöglichte, sich auszudrücken, sich zu präsentieren, sich umzusetzen, wie kaum eine andere. Natürlich handelte es hier noch um pubertäres Schwarz-Weiss-Denken, aber doch zeigte sich Ursulas Denkweise in dieser Aktion: Ich muss machen, was ich richtig finde, was es mich auch kostet, und ich habe auch den Mut, um es machen, ich spüre die innerliche Dringlichkeit und ich lebe sie.

Die Schule war ihr nicht lieb und ich muss sagen, sie hatte auch Pech in den Lehrern, die sie hatte, denn keine-keiner konnte ihr gerecht werden und dann äusserte sich ihr Überdruss auf diese Art und Weise.

 

Eine Zäsur in ihrer Mittelschulzeit war sicher der einjährige Amerikaaufenthalt in Eden Valley in Minnesota. Hier zeigte sich zum ersten Mal ihre Reise- und Entdeckungsfreude. Ihr Bedürfnis nach Neuem und nach der Ferne. Und hier zeigte sich auch eine zweite immer wiederkehrende Eigenschaft Ursulas: immer zog es sie an die Peripherie, an den Rand, an die Grenze und nur selten ins Zentrum. Nicht New York oder Los Angeles waren interessant, sondern der flache Midwest mit seinen endlosen Ebenen. Nicht Amsterdam, Berlin oder Paris waren interessant, sondern Potsdam, Kharkiv, Rhamalla und Derry. Ursulas Zug in die Peripherie, dahin, wo die Kunst brach lag, dahin, wo sie unterscheidend sein konnte, zeigte sich schon früh in ihrem Leben.

 

Schliesslich, im Jahre 1984 schloss sie das Lehramt mit der Matur ab, wohlwissend dass sie das Lehramt nie ausführen würde. Ursula wollte sich künstlerisch ausdrücken, Mime und Tanz, das war ihr seit Amerika deutlich geworden. Sie wollte anders leben und sicher nicht noch einmal Jahre hintereinander die Schulbank drücken.

Und wieder setzte sich ihr Abenteurtrieb durch. Auf Stimulation ihrer allerersten Tanzlehrerin, fuhr sie mit dem Zug in das ihr völlig unbekannte Amsterdam, um an der Aufnahmeprüfung der Pantomimeschule von Rob van Rijn teilzunehmen.

Und sie da: Ihr Mut zahlte sich aus, sie wurde angenommen. Sogar für sie kam das unerwartet.

Doch Pantomime wurde ihre schon schnell zu einseitig, zu beschränkt, zu speziell und so wechselte sie nach einem Jahr in die moderne Tanzschule in Amsterdam, de school voor nieuwe dansontwikkeling an der Da Costakade, wo sie den vierjährigen Lehrgang absolvierte. Eine Schule so jung und so pionierartig, wie Ursula.

 

Willem de Weert war ihr wichtig in diesen ersten Jahren in Amsterdam. Er war ihr Halt und ihr Lebenspartner in der neuen Stadt. Ursula verkehrte der Besetzerszene der Stadt. Aber schnell schon schuf sie sich einen eigenen Freundeskreis, zum Teil in den Emigrantenkreisen der Stadt, unter ihren Mitstudenten, aber auch in der Frauenszene.

 

Und im Jahre 1989 dann lernte sie den Mann kennen, mit dem sie für den Rest ihres Lebens einen ganz besonderen Platz in ihrem Herzen einräumte: Steve Batts war visiting senior-student in ihrer Schule. Er wurde ihr Partner fürs Leben.

 

Vier Jahre Schule hintereinander – so sehr sie diese Schule auch liebte, so sehr sie fasziniert war vom Tanzen, von der Bewegung, vom Atem – waren Ursulas Abenteuerlust aber zu viel. Im Jahr 1990 nahm sie ein Zwischenjahr und tat wiederum etwas, was ihr niemand zugetraut hätte: Sie zog nach Canada, wo sie inmitten raubeiniger Waldarbeiter einige Monate Bäume pflanzte. Und sich behauptete, ja, wohlfühlte unter ihnen.

 

Im Jahre 1992 schloss sie die Tanzschule mit dem Diplom ab.

Eine der ersten Stationen danach war Potsdam, wo sie den Anfang des heute blühenden Kulturzentrums Die Fabrik mitgestaltete, zusammen mit Steve Tanzstunden, Improvisationsstunden gab.

Ihre erste wichtige Eigenproduktion entstand in diesen ersten Jahren. Das Duett mit Steve Batts mit dem Titel Willing Accomplice, mit dem sie einige Jahre auf Tournee war, unter anderem auch 1995 in Steves Heimatland, in Derry in Nordirland, in jenem Playhouse, das später so wichtig für sie werden würde. Dieses Duett war eigentlich auch der Boden worauf die Zwei ihre eigene Tanzkompanie aufbauten. Echoecho.

 

Aber vorher kam noch eine Zeit der Suche.

Ursula versucht sich in der Schweiz zu festigen. In ihrem Heimatland, das sie in ihrem ganzen Leben immer wieder aufsuchte, wo sie ihr ganzes Leben lang Wurzeln behielt, wo sie tanzte und unterrichtete, unabhängig wo immer sie wohnte. Dazu heiratete Steve und Ursula am 9 März 1995 im kleinsten Kreis. (Ich war nicht einmal eingeladen…)

Ein halbes Jahr wohnten sie in Fruthwilen, ein halbes im jurassischen Undervellier, dazwischen eine lange Reise in die Ukraine, womit wir zu unserem nächsten Bild kommen:

 

Ein dunkles heruntergekommenes Grandcafe im Hauptbahnhof von Krakau. Später Mittag, Ursula und Steve, nach stunden- fast tagelanger Zugfahrt suchen erschöpft die Kühle der Theke auf. Müde und erschöpft, doch auch zufrieden und verwundert, was die Reise ihnen weiter bringen würde, bestellen sie ein Bier und stecken sich eine Zigarette an. Ein tiefer Zug, ein langer Schluck, der Rauch brennt wohlig im Rachen, das Nass kühlt die staubige Kehle. Und dann: fällt Ursula um. Nicht dass sie zusammensinkt, nicht dass sie einknickt, taumelt, einbricht, nein, wie ein gefällter Baum, ganz gerade und doch durchgesägt, fällt sie nach hinten, bewusstlos schon vor sie den Boden erreichte, ausgelaugt, ausgebrannt wie eine vom Blitz getroffene Eiche, abgebrochen ins Nichts.

Steve, entsetzt, erschüttert, ruft sie: Ursula, Ursula, Ursula, doch ihre Augen sind geschlossen, Ursula, Ursula, ihr Atem fahl, ihre Gesichtsfarbe wie Asche Ursula, Ursula..

Zehn Minuten später: Das Riechsalz des Bahnhofärztin hat sie wieder zu sich gebracht, sie lehnt gegen die Theke an, verwirrt, aber nicht ängstlich und erzählt Steve, dass sie in ein dunkles, warmes, schwarzes Loch gefallen war, wo oben von unten, vorne von hinten, früher von gestern nicht mehr zu unterscheiden waren. Nicht Furcht fühlte sie, sondern Wärme, nicht Entsetzen sondern Ruhe, nicht Angst sondern Erfüllung.

Und in diesem Raum, hörte sie weit, weit weg eine Stimme, die sie rief, Ursula, Ursula, und die Stimme war weit weg und ganz fein, und doch rief sie sie. Ganz beharrlich, ganz fest, ganz dringend und dann, dann, sei sie wieder zurückgekommen, sei sie der Stimme gefolgt und jetzt sei sie wieder da.

Sollen wir etwas zu essen kaufen? Ich hab Hunger!

 

Steve sagte mir später, er habe sie für Tod gehalten. Es sei so plötzlich gewesen, so unerwartet, so total, aber das sei eben Ursula gewesen: nichts machte sie halb, nichts oberflächlich. Sogar einen Ohnmachtsanfall aus Erschöpfung vollzog sie aus ganzem Herzen. Und doch, war jener Moment auch ein Zeichen, ein Zeichen sich zu sammeln, eine neues Heim zu finden und die ganz losgelöste Lebensweise fahren zu lassen.

 

Ursula und Steve beschlossen sich in Irland nieder zu lassen. Das Playhouse in Derry bot ihnen an, als „dancecompany in residence“ einzuziehen.

Natürlich auch nicht einfach so, das hätte nicht zu meiner Schwester gepasst. Steve zog im Januar nach Derry, Ursula machte erst noch einen kleinen Umweg – um die ganze Welt. Unerwartet hatte Christoph Oertli sie nämlich eingeladen, ihn auf einer Kreuzfahrt als Videoassistentin zu begleiten. Und während Steve in Derry die ersten Kontouren ihrer Existenz aufbaute, von dem, was später die „EchoEcho Dans company“ werden sollte, umsegelte Ursula den Erdenball. Sie hielt für verwöhnte Kreuzfahrgäste deren Reise in Videofilmchen fest und sie genoss vor allem diese Schnellbleiche in allen Kulturen dieser Welt. Eine Weltreise von der sie mit zahllosen Anekdoten und Geschichten zurückkam, die sie in den folgenden Jahren immer wieder erzählte, und die ihr auch für ihr künstlerisches Leben immer wieder Inspiration waren.

 

Dann schliesslich, im Sommer 1997 war es soweit: Ursula festigte sich in Derry.

Pionierarbeit verrichtete sie, Pionierarbeit. Und wieder suchte Ursula den Rand auf, den Fransenrand der kulturellen Welt Europas, um den Leuten dort, etwas neues, etwas anderes zu bringen. In Derry, einer Stadt gespalten von dreissig Jahren Bürgerkrieg, blühte eine Knospe des Friedens. Ursula und Steve verrichteten kulturelle Pionierarbeit und brachten den Leuten Sehensweisen, die bis dahin völlig unbekannt waren. We had an attitude which was not located in the past, sagte Steve, and through this we could take part in the peaceproces in a manner local people could not.

Die ersten Jahre waren hart. Sie wohnten bei Freunden, in Wohngemeinschaften, zusammen und getrennt, in modrigen Altbaubauten, in kaltfeuchten Erdgeschosswohnungen, aber sie bauten. Sie bauten Echoecho auf, und aus.

Das erste Ausrufzeichen war die Produktion Telling Times, im Winter 1997, worin sie zwanzig befreundete Künstler aus der Schweiz, Deutschland, England, Russland und Estland in Derry zusammenbrachten für ein dreiwöchiges Festival.

Das war die Duftmarke die Echoecho in Derry hinterliess. Drei Wochen Workshops, Perfomances, die ihren Namen im Ort festigten und es ihnen später ermöglichte auch Kultursubventionen beim Staat anzufragen – und zu erhalten.

Was folgte war ein zäher Aufbau. Ursula tanzte, choreografierte, unterrichtete, Anfänger und Fortgeschrittene, Kinder und Erwachsene, ihr jüngster Lehrling war ein Baby, ihr ältester eine Frau von über hundert Jahren.

Jahre, immer wieder unterbrochen durch weite Reisen. Abenteuer im Neuen, als Gegenpol der Knochenarbeit die es brauchte um in der Provinz Tanz als Kunstmittel zu zeigen, zu erklären und zu etablieren.

 

Die Jahrtausendwende brachte dann zwei grosse Veränderungen: Ursula und Steve trennt sich als Paar und Ursula fand ihr Cottage in Meedinmore, endlich der eigene wirklich sichere Hafen, für all die Reisen in die Welt. Ein Zuhause, ihr eigener Retreat.

Ein Ort, wo sie schnell Beziehungen fand mit den Umwohnenden, wo sie ihre Katzen hatte und ihre Schafe in der Weide vor der Tür. Ein Haus, wo sie erden konnte, sie, die die ganze Welt bereiste. Ein Haus wie ein Nest, wo sie sich einnisten konnte in den Rückzugszeiten, wo sie Energie tanken konnte und Ruhe.

 

Und damit kommen wir zu unserem fünften Bild:

Ein Strand nördlich von Derry, windverwehter Himmel, Wokenfetzen vor milchbleichem Himmelsblau, ein sanfter doch stetiger Wind vom Lande her, feine Wellen kräuseln sich an den Sandstrand und fliessen träge zurück ins Meer. Da: ein glänzen im Wasser, ein Stein, nein, ein Seehund, ein junger Seehund steckt seinen Kopf aus den Wellen und lacht lautlos. Und dann da, auf dem Strand, zwischen den Strömchen zurückkehrenden Wassers, zwischen den verstreuten Steinen im Sand, die ebenso gross sind wie der Kopf des Seehundes, ebenso schwarz und glänzend.: Da! auf einmal, da! wie eine Feder, wie ein Vogel, wie ein Antilope: Ursula im Tanz. Wehendes schwarzlanges Haar, verzerrt vom Wind und doch eins mit der Bewegung, mit dem Sprung der ein Schweben ist, ein Arm ausgestreckt zum Horizont, über den Horizont hinaus, der andere in ebener Linie nach hinten gerichtet, zum Ort, wo sie abgesprungen. Eine Bewegung vollkommener Dynamik, voller agiler Harmonie, schwebend und doch geerdet, in wogender Bewegung und doch direkt, ja zielgerichtet. Im Gesicht kein Lächeln, aber auch keine Traurigkeit, nur durchatmet, konzentriert in der marmornen Gelassenheit einer griechischen Göttin.

 

In den letzten zehn Jahren erlebte Ursula Höhepunkte ihres künstlerischen wie ihres pioniermässigen Schaffens.

Sie unterrichtete und lehrte. In Derry wie im Ausland. Sie unterrichtete Tanz und Improvisation und später auch Bewegungsmeditation und Selbstreflexion durch Bewegung. Sie entwickelte einen eigenen Tanzunterricht für Behinderte, arbeitete jahrelang mit Rollstuhltänzern.

Sie knüpfte Verbindungen nach Israel und Palästina, und brachte dahin – wie sie es schon vorher in Potsdam und Derry getan hatte – ihre ganz eigen Art, ihren Tanz, ihre Bewegungen, ihr ganzes Sein.

Sie baute die Kompanie aus, verankerte sie, verstärkte sie, indem sie junge vielversprechende Tänzer und Tänzerinnen aufnahm und ihnen Verantwortung zutraute. Ein neues Studio bezogen sie und Ursula begann an der Universität von Derry Tanz zu unterrichten.

Sie arbeitete an sich selber, verbreiterte ihren Hintergrund, folgte Retreats und Unterricht vom Zenmeistern, und entwickelte sich auf spirituellem Gebiet.

Sie führte Regie und machte Choreografien, und sie tanzte:

In 1999 Pulse, in 2003 das solo: Under observation, in 2005 – ich benenne hier nur die wichtigsten Produktionen – machte sie mit Steve Batts ein zweites Duett: Resonance, mit dem sie durch ganz Europa tourten.

Ja, mit Steve, von dem sie sich, wie ich schon vorher sagte, im Jahre 1999 getrennt hatte. Naja, getrennt: Steve sagte mir: We weren`t lovers anymore, but we kept on loving each other. Den Zweien gelang etwas ganz eigenes, besonderes: sie lösten ihre Liebesbeziehung aber blieben zusammen arbeiten und zusammen tanzen – Echoecho blieb Ursula und Steve –. Die Zwei blieben Vertraute, Seelenverwandte, die ihr Leben zusammen lebten. Und obwohl beide in de späteren Jahren neue und sicher auch tiefe Beziehungen angingen, blieben Steve und Ursula miteinander verbunden, wie man es nur bei wahren Soulmates kennt.

 

Es ginge zu weit, um hier alle Stationen von Ursulas Leben in diesen Nullerjahren aufzeichnen zu wollen, alle Beziehungen und Begegnungen, alle Vorstellungen und Produktionen. Die ungeheure Masse der Beleidsschreiben, die uns erreicht, zeugt von dieser fruchtbaren Periode ihres Lebens, zeugt davon wie weit ihr Einfluss reichte, wie gross ihre Wirkung war, wie tief sie Menschen berührte.

 

Im Jahre 2007 lernte Ursula im Zen meditationscentrum in Belfast Chris Ardill kennen und schnell auch lieben. Chris war der erste Mann seit Steve, mit dem sie ein langdauernde und für sie perspektivenreiche Liebesbeziehung aufbauen wollte und konnte. We were immediatly happy in each others comppany, schilderte es mir Chris.

Leider wurde dieser neue, frische Schritt in Ursulas Leben nach sechs Monate Beziehung jäh unterbrochen durch ihre Krankheit.

 

Ende August 2008 wurde bei ihr Brustkrebst diagnostiziert. Im Folgenden werde ich nicht weiter auf ihre Krankengeschichte eingehen, aber was in diesem Zusammenhang festgestellt werden muss, ist: Sie hätte sich keinen besseren Partner erwünschen kännen in dieser schrecklichen Zeit als Chris. Seine Begleitung, seine Sollidarität, seine Ruhe in Demut vor dem Schrecklichen ermöglichte es Ursula, sich der Krankheit zu stellen, wie sie sich allen Herausforderungen des Lebens stellte: Ganzheitlich, total, kompromisslos und positiv.

Ursula sah die Krankheit als eine Chance, als eine Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln, ihren Lebensweg weiter zu formen und neuen Sinn zu finden. In dem Moment den ich – und mit mir glaub ich viele andere – als einen Höhepunkt schicksalhafter Sinnlosigkeit erlebte, fand sie die Kraft im Moment zu leben und zu geniessen von dem, was noch war. Ursula haderte nicht mit dem Schicksal, sie hinderte es, ihr die Lebensfreude zu nehmen.

Sie bekämpfte auch ihren Körper nicht, der sie im Stich liess, sondern blieb ihn lieben, blieb ihn hegen und pflegen und forderte ihm – und sich selber – das Äusserste ab. Ursula blieb tanzen. Mit den Mitteln die ihr zur Verfügung standen, blieb sie tanzen. And I‘ve never seen her dance as beautiful, erinnert sich Steve.

Und auch im Praktischen blieb Ursula leben. Sie zügelte sogar nach Belfast, in eine wunderschöne Wohnung mit Meeresblick, zusammen mit Chris. Sie blieb unterrichten, blieb reisen, blieb tanzen. Und gegen Ende ihres Lebens zog es sie auch wieder heftiger zurück zu ihren Wurzeln, zurück zu ihren Eltern, zurück in die Schweiz.

 

Sie starb in der Lukasklinik in Arlesheim nach langer, nicht nur tapfer, sondern mutig und positiv ertragener Krankheit am 14. April 2011, um zwanzig nach zwei.

Was mich zu meinem abschliessenden Bild bringt:

Ein Frühlingstag, ein warmes Aprillicht voll Sonne und Versprechen schleiert sich durchs Fenster in den Raum, in dem von Vorhängen sanft verdunkelt, von brennenden Kerzen erhellt, von heiligem Rauch aus dünnen Stäbchen beduftet, sie liegt: Ursula Läubli. Requescat in pacem.

Sie liegt aufgebahrt auf weissem Leinentuch, mit gefalteten Händen worin eine weisse Rose, umkränzt von Frühlingsblumen und frischen Kräutern Rosmarin, Salbei und Thymian, ihre Kleider in warmen Tönen, rot und erdfarben, ein Schal um ihre Schultern, ihr schwarzes Haar, durchflochten von weisem Weiss, umrahmt ihr Gesicht, ebenmässig und ruhig. Die Augen geschlossen, die Brauen entspannt, der Mund ganz leicht geöffnet, ein Mundwinkel wie zu einem winzigen Lächeln angehoben, liegt sie.

Sie liegt in der Würde, in der Schönheit einer durchgereiften Persönlichkeit, mehr noch, hier liegt eine alte weise Frau, eine Ikone aus alten Zeiten, marmorbleich in ewiger Weisheit, eine Priesterin der alten Agypter, der Azteken, der Maya: Ursula Läubli.

Martin Läubli, 20-4-2011